Kommentar: Wenn Zugucken weh tut – der Fotografie-Monatsrückblick
Einmal im Monat lässt unser Autor Andreas Kesberger die Foto-Nachrichten der vergangenen Wochen Revue passieren. Dieses Mal: Handlungsansätze zur DSGVO, erste Eindrück aus Zingst und fotografische Versagensängste.
Ruhig war es im Mai. Fotografisch betrachtet. Es mussten ja alle ihre Datenschutzbestimmungen erneuern und Newsletter aktualisieren. Schon erstaunlich, wo man überall angemeldet ist. Meine Lieblingsmail kam erst am Tag danach: „… keine Ahnung, ob man schon mit ’nem halben Bein im Knast steht, wenn man Freunde, Verwandte und Bekannte per Mail auf seine nächste Ausstellung hinweist. Aber ich riskiere das mal … falls das Unterfangen juristisch unbemerkt bleibt, würde ich mich freuen, euch am 28. Juni im Bunker-D / Kiel zu meiner Ausstellung begrüßen zu dürfen.“ Von wem das ist, verrate ich aus Datenschutzgründen nicht, aber wer mit ausländischen Mächten im Bunde ist, wird die Ausstellung schon finden.
Rundum schwenkbar – rundum glücklich?
Wenn es jetzt schon so warm ist, dass man sich kaum bewegen mag, der Sonnenaufgang so früh ansteht, dass Landschaftsaufnahmen extrem schlafraubend werden und abends der Biergarten lockt, dann kann das nur ein ruhiger Fotomonat werden. Zumindest Fuji hat sogar eine neue Kamera vorgestellt. Über die ich ja sogar ernsthaft nachdenke, weil ich was neues für Passbilder und einfache Repros brauche. Vielleicht noch das Zeiss Macro dazu? Aber ich schweife ab. Normalerweise ist einem so eine Einsteigerkamera ja ein bisschen peinlich, aber da die hier endlich mal auch bei Fuji ein vollständig schwenkbares Display hat, gibt es sogar eine Superausrede, geizig zu sein.
Schluss mit der Trägheit, her mit der Inspiration. Dafür sind heutzutage Festivals und Messen da. Eigentlich wollte ich diese Kolumne live aus Zingst schreiben, aber bis zum Redaktionsschluss für diesen Text hätte ich dort noch nicht mal meinen Rollkoffer abgestellt. Zum Ausgleich habe ich eine hiesige Messe besucht. Machen die Händler ja heute so. Sonst kommt keiner mehr hinterm Bildschirm vor. Die Show war angesichts des Wetters durchaus ordentlich bevölkert. Es scheinen noch Menschen zu fotografieren. Wenigstens habe ich jetzt das obengenannte Macro mal in der Hand gehabt. Aber ein bisschen hat sich in mir doch der Gehäuse-, Objektiv- und Rucksack-Ennui breit gemacht. Vielleicht hilft ein Vortrag. Eine Stunde über Porträtmöglichkeiten mit der Canon M50, ohne das Canon ein passendes Porträtobjektiv anbieten würde? Lieber nicht bei 25 Grad, wenn abends das Champions-League-Finale ansteht.
Ein Kommentar von Andreas Kesberger
Andreas Kesberger ist Fotoingenieur, Autor und Geschäftsführer der Fotopioniere in Berlin. Da er sich seit seinem Studium intensiv mit fotografischen Haltbarkeitsfragen beschäftigt, dreht sich diese Kolumne allmonatlich um das, was vom aktuellen Fotomonat haltbar oder einfach nur übrig bleibt.
Was schiefgehen kann, geht schief
Und später unter dem Beamer wird das unter Beobachtung vieler Spiegelreflexobjektive sogar fotografisch interessanter. Was für ein Drama! Mit einem Torwart, bei dem der Name einen immer an Zahnarztbesuche denken lässt und dessen Anblick dann wahrlich nur noch schmerzhaft war. Auch wenn Olli-die-sollen-doch-in-der-Kabine-weinen-Kahn das in der Halbzeit noch gar nicht ahnen konnte. Da denkt jeder sofort an die größtmöglichsten Unfälle, die einem in seinem Metier passieren könnten: Aus Versehen mal ne falsche Abschaltsoftware programmiert und schon droht dem Chef der Knast. Gemein. In der Fotogeschichte sind wohl die Fotos von Robert Capa vom D-Day das beste Beispiel. Die hat er zurück nach England zum Entwickeln geschickt und dort wurden sie dann so heiß getrocknet, dass die Emulsion geschmolzen ist. Keine Ahnung, was mit dem Labormitarbeiter danach passiert ist. Wahrscheinlich googelt das Loris Karius gerade. Wir wissen nicht, was wir verpasst haben, aber die wenigen erhaltenen Bilder haben so eine wunderbar entrückte Anmutung, dass dieses Ereignis genau dadurch auch optisch zur besonderen Wendemarke wird. Das hätten ein paar scharfe, nicht geschmolzene Panzer in den Dünen nie so hingekriegt. Sag noch einer was über zuviel Rauschen.
Versagensängste gehören zur Fotografie. Erst recht zu der ohne Display. Früher war der Standardspruch für den Fotografen: "Ist da auch ein Film drin?" Wer jemals die Firmenjubilare im BASF-Feierabendhaus fotografiert hat, weiß, dass man diesen Gipfel der Kreativität auch mehr als einmal am Abend hören kann. Aber es soll ja vorgekommen sein. Meine einwöchige Surfkarriere ist auch deshalb nicht optisch festgehalten worden, weil sich mein Onkel erst bei Bild 39 wunderte, warum der Filmtransport so leicht geht. Heute muss man schon seine Akkus und Speicherkarten vergessen, um so richtig zum Looser des Tages zu werden. Doch die Rollei 6008 hat mir schon vor über 25 Jahren als Assi sinnlose Ausfahrten mit Modell und leerem Akku beschert. Exklusiv hat das die Digitalfotografie also nicht.
Alles muss man selber machen
Aber gibt es diesen Moment heute noch, wo ein Fotograf beim Ereignis des Jahres dabei ist und versagt? Früher hat man die Flagge eben am nächsten Tag noch mal gehisst, heute sind trotzdem genug Leute mit Handy dabei. Aber darauf soll man sich nicht unbedingt verlassen. Das dachte sich bestimmt auch Sergio Ramos. Und das war der eigentliche Fotomoment des Finales. Alles muss man selber machen, erst recht als Kapitän von Real Madrid. Dem besten Stürmer des Gegners die Schulter kaputt ringen, dem deutschen Torwart den Ellenbogen ins Gesicht hauen wenn keiner guckt und dann hat man nicht mal ne Gelegenheit zum Fotografieren und Filmen.
Darum erklärt er auf dem Weg zur Siegerehrung seinem Mannschaftskameraden noch schnell, wie die eigene GoPro funktioniert, weil er als Kapitän ja dummerweise den Pokal gleich mit beiden Händen in die Höhe stemmen muss. Herrlich, wie beim Familienfest. Aber wir wissen alle, wie die Ergebnisse dann aussehen. Ausgerechnet der, der nur noch dabei ist, weil die Uefa keinen Videobeweis auf die Reihe kriegt, schwört auf seine ganz eigenen Bilder. Dann kann die WM ja kommen. Wenn die vom DFB-Staff dann wieder wie beim letzten Mal nach dem Endspiel alle mit ihren Leicas übers Spielfeld hopsen – mir soll es recht sein. Eigene Fotos sind eben das Privileg der Sieger. (Andreas Kesberger) / (msi)